EU-Energiegipfel: ZVO fordert Bundeswirtschaftsminister erneut zum Handeln auf

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Die Energiekosten-Situation ist für die energieintensiven Galvanik- und Beschichtungsunternehmen an Dramatik kaum mehr zu überbieten. Es stehen Existenzen von Unternehmen und damit auch Arbeitsplätze auf dem Spiel. Jährliche Zusatzkosten von einer Million Euro und mehr werden, je nach Größe des Unternehmens, laut ZVO in den nächsten Jahren keine Seltenheit sein. Haben die ZVO-Mitgliedsunternehmen 2021 die Kilowattstunde noch durchschnittlich mit 4 ct beschaffen können, stieg dieser Wert im August 2022 auf 45 ct/kWh und wird 2023 auf etwa 60 ct/kWh und mehr explodieren. Solche Strompreise sind für die mittelständischen Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik wie für alle Mittelständler in Deutschland nicht mehr tragbar und existenzbedrohend. Auch wenn zu Beginn des Septembers Strom- und Gaspreise nachgegeben haben, können die Branchenunternehmen die gegenwärtigen Strom- und Gaspreise nicht stemmen und in der Regel auch nicht an ihre Kunden weitergeben. Das gut gemeinte Energiekostendämpfungsprogramm helfe den Betrieben nach Angaben des ZVO nicht oder nur eingeschränkt, denn die Jahresabschlüsse der Branchenmitglieder unterliegen überwiegend keiner Prüfungspflicht. Trotz Verlängerung bis 30. September 2022 sei zudem die Antragsfrist zu kurz, um das komplexe Verfahren mit der gebotenen Sorgfalt mitten in der Hauptferienzeit bearbeiten zu können.

Lieferketten brechen langsam auseinander

Doch nicht nur das Energiepreisniveau macht Sorgen, die verminderte Gasversorgung beginne sich zudem negativ auf die Lieferketten auszuwirken, welche die deutsche Wirtschaft seit Pandemiebeginn mit höchsten Anstrengungen, aber erfolgreich, aufrechterhalten konnte. Sie brechen jedoch gegenwärtig auseinander und lassen in kürzester Zeit einen Dominoeffekt erwarten. Ein für die Branche essenzieller Lieferant für Natronlauge hat schon zu Beginn des Jahres wegen der hohen Gaspreise die Produktion drosseln müssen. Die verringerten Erdgaslieferungen durch Russland, die extrem hohen Energiepreise sowie die eingeschränkte Verfügbarkeit von Vorprodukten führen nun dazu, dass die Produktionsanlagen weiter heruntergefahren werden. Aufgrund der enorm hohen Kosten für die Chlorelektrolyse haben bereits weitere Hersteller die Produktion gedrosselt.

Schnelle Maßnahmen erforderlich

Laut ZVO sei mit drastischen Preiserhöhungen und Mengenreduzierungen zu rechnen. Eine Entspannung sei vorläufig nicht in Sicht, da ein Werk wegen eines Störfalls komplett ausgefallen ist und andere Produktionsstätten spätestens im Oktober in die jährliche Anlagenwartung gehen. Aktuell ist der Markt für Salzsäure europaweit ausverkauft. Weitere Produkte werden kurzfristig nur eingeschränkt und wenn überhaupt nur zu deutlich höheren Notierungen verfügbar sein.  Daher drängt der ZVO stellvertretend für die Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik auf schnelle, umgehende Entscheidungen und Maßnahmen. Unmittelbar vor dem EU-Energiegipfel am 9. September hat er vier Forderungen an Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck gestellt:

  1. Die sofortige, zumindest temporäre Aussetzung des Merit-Order-Systems. Es könne nicht akzeptiert werden, dass das teuerste, zur Stromerzeugung zugeschaltete Gas-Kraftwerk den Strompreis explodieren lässt, obwohl die Stromerzeugungskosten durch Kohle, Uran, Sonne und Wind nicht gestiegen sind. In einem ersten Schritt könnten die teuren Gaskraftwerke aus dem Merit-Order-Systems eliminiert werden.
  2. Temporärer Weiterbetrieb der zur Abschaltung anstehenden letzten drei Atomkraftwerke. Der Reservebetrieb von zwei AKW mache keinen Sinn, da die Kosten der Laufzeitverlängerung bestehen bleinen, ohne einen Ertrag zu erzielen.
  3. Preisdeckelung für Strom, Gas und Öl (andere EU-Länder machen es vor).
  4. Einführung eines europaweit einheitlichen Industrie-Strompreises.

Auch wenn die mögliche Aufhebung des Merit-Order-Systems inzwischen in der öffentlichen Debatte angekommen ist, wird die Entkopplung von Strom- und Gaspreis eher eine mittelfristige Lösung sein und als höchst komplexe Reform zudem mit der EU beziehungsweise den anderen Mitgliedstaaten abgesprochen werden. Solche mittelfristigen Lösungen dauern nach Angaben des ZVO aber zu lange und können die Galvano- und Oberflächentechnik und die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen nicht zufriedenstellen, denn diese Zeit werde manches Unternehmen nicht überleben. Aktuell müsse es darum gehen, den Strommarkt zu beruhigen. Derzeit sind auch durch Spekulation und externe Effekte ausgelöste Preisspitzen zu erkennen, welche die objektive Stromknappheit bei weitem übersteigen. In dieser Situation erscheine ein zeitlich begrenztes Eingreifen des Staates legitim.

Autor(en): wi

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