Implantatbeschichtungen aus Spinnenseide

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Bei der biomedizinischen Wiederherstellung von beschädigtem oder zerstörtem Gewebe kommt es in vielen Fällen darauf an, die Entwicklung spezifischer Zellen anzuregen und zu steuern. Zellen unterschiedlichen Typs, beispielsweise Haut-, Muskel- und Nervenzellen, müssen beteiligt sein, damit ein funktionierender Zellverbund entsteht. Ein in den Körper implantiertes Gerüst aus Spinnenseide, an das sich eine wachsende Zahl neu entstehender Zellen anlagert, bringt für diesen natürlichen Wiederaufbauprozess wichtige Voraussetzungen mit: Spinnenseidenproteine sind bioabbaubar und in der Regel mit vorhandenen Zellen des Organismus verträglich. Wie ein derartiges Gerüst aus Spinnenseide optimiert werden kann, zeigen jetzt die am Lehrstuhl für Biomaterialien erzielten Bayreuther Forschungsergebnisse. Für räumlich verschiedene Abschnitte des Gerüsts können künftig Materialien verwendet werden, die sich besonders gut für die gezielte Anlagerung, das Wachstum und die Vermehrung von Zellen eines benötigten Zelltyps eignen. Infolgedessen eignet sich ein solches in den Körper implantiertes Gerüst aus Spinnenseide hervorragend für die Herstellung großer natürlicher Gewebestrukturen, an denen verschiedene Zelltypen beteiligt sind. Es wird, je weiter dieser Aufbau voranschreitet, allmählich auf natürliche Weise abgebaut. Die in „Advanced Healthcare Materials“ und „Advanced Materials Interfaces“ veröffentlichten Forschungsergebnisse sind wegweisend für die regenerative Medizin und die Herstellung von künstlichem Gewebe. Die Ergebnisse der beiden Studien kommen ebenso der Optimierung von Implantaten zugute, die natürliches Gewebe auf Dauer ersetzen und im Körper verbleiben sollen. Hierfür werden Materialien benötigt, die gewährleisten, dass die Implantate nicht durch Entzündungen oder allergische Reaktionen abgestoßen werden. Eine Beschichtung aus Spinnenseide, die den jeweiligen Zelltypen im umgebenden Gewebe optimal angepasst ist und deren Anlagerung fördert, helfen solche Abstoßungsreaktionen zu vermeiden und tragen somit zur störungsfreien Integration des Implantats in den Organismus bei.

Zellspezifische Effekte durch biochemische Modifikationen

Wie die Bayreuther Forscher nachgewiesen haben, können zellspezifische Effekte von Materialien aus Spinnenseide dadurch erzeugt werden, dass Seidenproteine durch den Einbau von Peptiden – dies sind kurzkettige Polyaminosäuren – funktional verändert werden. Mit Zellen wechselwirkende (zelladhäsive) Peptide sind unter anderem in der Extrazellulären Matrix (EZM) natürlicher Gewebe enthalten: Dies ist eine gitterähnliche molekulare Struktur, welche in einem Gewebe die Abstände zwischen benachbarten Zellen ausfüllt und deren räumliche Anordnung stabilisiert. Die Bayreuther Forscher haben einige zelladhäsive Peptide, die in der EZM zahlreicher Organismen – auch des Menschen – vorkommen, in mehrere Varianten eines Seidenproteins eingepflanzt, das von einer Spinnenseide der Gartenkreuzspinne abgeleitet ist. Infolge der biochemischen Modifikation erwiesen sich einige dieser veränderten Seidenproteine generell als zelladhäsiv, andere zeigten generell ein zellabweisendes Verhalten. In einigen Fällen konnten jedoch darüber hinaus zellspezifische Interaktionen beobachtet werden. Besonders auffällig waren dabei die Wirkungen des Peptids KGD: Es fördert gezielt die Anheftung und das Wachstum von Myoblasten. Dies sind embryonale Muskel-Vorläuferzellen, die sich zu Muskelfasern weiterentwickeln können. "Unsere Forschungsergebnisse zeigen einen neuartigen Weg auf, der zu zellspezifischen Anwendungen von Materialien aus Spinnenseide führt – sei es beim Design von Gerüsten zur Förderung natürlicher Regenerationsprozesse, bei der Beschichtung von Implantaten oder auch beim 3D-Druck von Hydrogelen mit eingekapselten Zellen, die zu Funktionsmaterialien weiterverarbeitet werden können", sagt Vanessa Trossmann M.Sc., Erstautorin der in "Advanced Healthcare Materials" veröffentlichten Studie.

Zellspezifische Effekte durch Oberflächenstrukturierung

Die in „Advanced Materials Interfaces“ erschienene Studie präsentiert einen anderen Weg zur Optimierung von Spinnenseide-Materialien. Beschichtungen, die aus einem direkt von der Seide der Gartenkreuzspinne abgeleiteten Seidenprotein gefertigt sind, zeigen von sich aus – ohne biochemische Modifikation – kein zelladhäsives Verhalten. Das Forschungsteam um Prof. Dr. Thomas Scheibel hat jetzt mit einem lithografischen Verfahren die Oberfläche dieser Beschichtungen so strukturiert, dass dadurch die Anlagerung und das Wachstum von Zellen eines bestimmten Typs gezielt stimuliert werden. Die Reaktionen unterschiedlicher Zellen auf die Form und Größe der in die Oberfläche eingeprägten geometrischen Strukturen hängen, wie umfangreiche Tests belegen, stark vom jeweiligen Zelltyp ab, unter anderem von der Größe der jeweiligen Zellen. "Auf der Basis unserer Forschungsergebnisse wird es möglich sein, Beschichtungen aus Seidenproteinen – oder auch aus anderen biokompatiblen Materialien – lithografisch so zu optimieren, dass sie zellspezifisch die natürliche Regeneration komplexer Gewebestrukturen anregen und vorantreiben", sagt Scheibel.

Autor(en): wi

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